Thüringen verkauft Rittergut an Rechtsextreme

Von Maik Baumgärtner und Christina Hebel
Rechte Immobilien-Deals: Braune Häuser

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Maik Baumgärtner
Millionensummen gibt Thüringen für den Kampf gegen Rechtsextreme aus, doch nun sabotiert der Freistaat seine eigene Bemühungen: Er verkaufte ein Rittergut an ein mutmaßliches Mitglied eines einschlägigen Vereins. Experten fürchten ein neues Neonazi-Zentrum im alten Herrenhaus.
Erfurt – Wolfram Schiedewitz klingt mächtig stolz, als er in einem Einladungsschreiben den Spendern, Mitgliedern und Freunden seines Vereins “Gedächtnisstätte” verkündet: Man habe endlich eine “neue Heimstatt” gefunden. Er meint “den Herrensitz auf dem ehemaligen Rittergut in Guthmannshausen”, einem 800-Einwohner-Dorf rund 50 Kilometer nordöstlich von Erfurt. “Wir wollen unseren Herrensitz mit Leben füllen im Gedenken an unsere zivilen Opfer des Zweiten Weltkrieges durch Bomben, Verschleppung, Vertreibung und in Gefangenenlagern”, kündigt Schiedewitz an.
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Der Landschaftsarchitekt aus dem niedersächsischen Seevetal wird seit Jahren vom Landesverfassungsschutz beobachtet: Deren Sprecherin stuft Schiedewitz als rechtsextremistisch ein – genauso wie die “Gedächtnisstätte”, deren Vorsitzender er ist. Der Verein wurde 1992 im ostwestfälischen Vlotho gegründet. Die Organisation ist bis heute mit Holocaust-Leugnern verbunden, zum Beispiel mit der mehrmals wegen Volksverhetzung verurteilten Ursula Haverbeck-Wetzel, Gründerin und ehemalige Vorsitzende der “Gedächtnisstätte”. Ihre beiden anderen Vereine “Collegium Humanum” und “Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten” wurden mittlerweile verboten – die “Gedächtnisstätte” ist eine ihrer letzten verbliebenen Organisationen.

Laut Satzung dürfen in der “Gedächtnisstätte” nur Mitglieder “alleiniger deutscher Staatsbürgerschaft” aufgenommen werden. Der Verein will eine Erinnerungsstätte nur für deutsche Kriegsopfer errichten. Im sächsischen Borna scheiterte die “Gedächtnisstätte” mit ihren Plänen – nun will der Verein sie in Thüringen umsetzen.
Für den Freistaat ist die Ankündigung ein herber Rückschlag: Das leerstehende Rittergut, vormals als landwirtschaftliche Landesschule genutzt, gehörte bis Mai 2011 noch dem Land. Dann verkaufte die Thüringer Liegenschaftsgesellschaft die unter Denkmalschutz stehende Immobilie mit Hilfe eines Maklers an die Heilpraktikerin B. aus Hessen. Der Kaufpreis für das Anwesen im neoklassizistischem Stil mit 1000 Quadratmetern Wohnfläche, Säulenhalle und Sauna: 320.000 Euro. Die Frau gab gegenüber den Behörden an, dort Seminare abhalten zu wollen, das Gebäude auch an andere vermieten zu wollen.

Kauf durch eine Strohfrau?
Was den Thüringer Beamten bei Abwicklung des Geschäftes nicht auffiel: Der thüringische Verfassungschutz geht davon aus, dass B. ist nicht nur Mitglied des Vereins “Gedächtnisstätte” ist, sondern auch Kontakte zur ebenfalls rechtsextremistisch eingestuften “Gesellschaft für freie Publizistik” unterhält.
Die Gesellschaft, 1960 von ehemaligen Offizieren der SS und Funktionären der NSDAP gegründet, wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als “größte rechtsextremistische Kulturvereinigung” in Deutschland eingestuft. Im vergangenen Jahr fand im Freistaat ein Jubiläumskongress der Gesellschaft statt, auf dem auch der bekannte Neonazi und NPD-Mitglied Holger Apfel auftrat. B. äußert sich zu diesen Vorwürfen gegenüber SPIEGEL ONLINE nicht. In einer E-Mail Ende September hatte die Hessin angegeben, sie sei kein Mitglied der “Gedächtnisstätte”.
Das sieht der Verfassungsschutz anders. Mittlerweile deute alles auf einen “Strohfrau-Kauf” hin, sagt Thomas Sippel, Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes. Schließlich stelle B. der “Gedächtnisstätte” das Gut zur Nutzung zur Verfügung. Er sagt, seine Behörde sei nicht in den Verkauf der Immobilie einbezogen worden. Die Hessin, laut Grundbucheintrag alleinige Käuferin des Rittergutes, ist nicht ohne weiteres als Mitglied des Vereins zu identifizieren. Im Internet taucht B. nur als Heilpraktikerin auf, sie hat sich bisher öffentlich im Hintergrund gehalten.

Neuer Rückzugsraum für extreme Rechte
Das sei Strategie, sagt Fabian Virchow, Rechtsextremismus-Experte an der Fachhochschule Düsseldorf: “Wenn die Immobilien nicht im Besitz des jeweiligen Vereins sind, fallen sie bei dessen Verbot nicht als Vermögenswerte an den Staat.” In dem Kauf des Ritterguts sieht er einen weiteren Schritt “der extremen Rechten, ihre Infrastruktur aufzubauen und zu stärken”. Sie schaffe sich dadurch Rückzugsräume.
Wie die aussehen können, zeigte ein erstes Treffen der “Gedächtnisstätte” Mitte September: Bei dem Vortragswochenende durfte auch Holocaust-Leugnerin Haverbeck sprechen. Ihr Thema: die Verfassungsbrüche der Bundesregierung. Am vorigen Wochenende fand nach Informationen von SPIEGEL ONLINE eine zweite Zusammenkunft statt, dieses Mal im größeren Kreis: Es waren auch Freunde und Interessenten der “Gedächtnisstätte” geladen. Der Vereinsvorsitzende Schiedewitz war trotz mehrmaliger Nachfrage nicht zu einer Stellungnahme gegenüber SPIEGEL ONLINE bereit.
Rückkauf kaum möglich
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Einen “Skandal” nennt Martina Renner, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Erfurter Landtag, den Verkauf des Rittergutes.
2,6 Millionen Euro jährlich gibt das Land für den Kampf gegen den Extremismus, insbesondere gegen Rechtsextremisten, aus – und dann solch eine Panne. Die Landesregierung müsse sich fragen lassen, wieso erneut ein derart exponiertes Objekt an Rechtsextreme veräußert werden konnte.

Erst im Juni 2011 konnte die Stadt Pößneck ihr Schützenhaus zurückkaufen, das der 2009 verstorbene NPD-Funktionär Jürgen Rieger erworben hatte. Dort fanden seit 2003 Neonaziveranstaltungen und ein NPD-Parteitag statt.
Mit dem Rittergut Guthmannshausen haben die Rechtsextremen nun eine neue Bleibe gefunden. Ein Rückkauf dürfte rechtlich schwer werden. Offiziell heißt es im Thüringer Finanzministerium, man prüfe den Vorgang. Hinter vorgehaltener Hand wird so einem Deal allerdings kaum Chancen eingeräumt – wenn, dann dauere das Jahre.