Vati ist ein guter Nazi
Die Generation der Nachwende-Neonazis wird zur Elterngeneration – und erzieht ihren Nachwuchs von klein auf nach völkisch-nationalem Programm.
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Eine wie ein Soldat aussehende Zielscheibe steht auf einem Spielplatz auf einem Hof in Jamel in der Nähe von Wismar. In dem Dorf sollen viele rechtsextreme Familien leben.
Der kleine Siegbert kam immer schon in merkwürdiger Kleidung in die Kindertagesstätte: immer diese gewalkte Naturwolle, immer ein wenig müffelig, immer ein wenig zu dünn, vor allem im Winter. Seine Eltern ließen ihn nicht am regulären Kitaessen teilnehmen, er musste die eigens zubereiteten Körnerflocken essen. Erkältungen dauerten bei ihm besonders lange, denn zum Arzt zu gehen oder gar Medikamente zu verabreichen, das kam für Siegberts Eltern nicht infrage: Der Junge müsse abhärten, gaben sie Doreen Krüger zu verstehen, seiner Erzieherin.
Videos zeigen rechtsextreme Jugendarbeit: Die Expertin Heike Radvan erklärt, wie Neonazis schon früh ihre Kinder ideologisch beeinflussen.
Das Lied, das er gelegentlich vor sich her sang, eine rechtsextreme Version von Der Mond ist aufgegangen, war für Doreen Krüger dann nicht mehr zu ertragen: Ein Vierjähriger, der Hetzlieder singt, dafür ist in ihrer Kindertagesstätte kein Platz. Doreen Krüger ist froh, dass der kleine Siegbert nicht mehr in ihrer Krippe ist. “Ich habe vor Erleichterung geweint, als er nicht mehr kam.” Andererseits weiß sie: Damit ist auch der letzte Funken normaler, bunter Welt aus Siegberts Leben verschwunden.
Siegbert heißt nicht Siegbert, und Doreen Krüger heißt auch nicht wirklich so. Das war ihre Bedingung dafür, dass sie überhaupt mit dem Reporter redet, denn sie fürchtet sich vor Menschen wie Siegberts Eltern. Dass Krüger in einer Kita zwischen Rostock und Schwerin arbeitet, in einer Gegend, in der sich
Dutzende rechtsextreme Familien angesiedelt haben, die dort versuchen, Schulen, Kindertagesstätten und sonstige Einrichtungen mit ihrem Gedankengut zu unterwandern – das allerdings kann man sagen.
Ein niedliches Backsteinkirchlein, ein verwunschener Dorfteich, hin und wieder ein Fischreiher in der Luft: So sieht es aus in der Mecklenburgischen Schweiz, Fontaneland. Allein hier, in diesem Idyll, schätzen Experten der evangelischen Kirche, wachsen Kinder in rund 60 Familien so auf wie Siegbert. Sie heißen Arwin, Thore, Hildegund oder Freya, sie reden nicht von Pizza, sondern von Gemüsetorte, und sie feiern nicht Weihnachten, sondern das Julfest. Und häufig wissen die Buben schon als Vierjährige, wie man jemandem den Arm umdreht, und dass Arier besser sind als die Menschen aus “minderwertigen Völkern”.
Engagierte Eltern mit menschenverachtender Ideologie
Ihre Eltern sehen sich als Artamanen, eine völkisch-nationale Aussteiger-Sekte, die es schon in Weimarer Zeiten gab und später in der Hitlerjugend aufging. Einige von ihnen sind in enger Verbindung mit der
NPD oder anderen rechtsextremen Organisationen, einige stammen aus der neonazistischen Wiking-Jugend, der Schlesischen Jugend oder
der inzwischen verbotenen Heimattreuen Jugend (HDJ). Jetzt wollen sie in der Idylle der Mecklenburgischen Schweiz, wo es außer guter Luft und günstigem Grund nicht viel gibt, ihre Kinder in ihrem Geist aufziehen.
“Der ‘Wald- und Wiesen-Nazi’ mit Glatze stirbt aus – die Braunen werden immer klüger, die kommen in Schlips und Nadelstreifen oder in Öko-Klamotten daher”, sagt eine Verantwortliche für mehrere Kitas in der Gegend, die auch nicht namentlich genannt werden will.
Der Vater, der sich in den Elternbeirat wählen lassen will; die Mutter, die die Kinder mit Selbstgebackenem am Wandertag begleitet; die Eltern, die vorschlagen, man könne doch gemeinsam mal die Kindergartenwände neu streichen: Es sind häufig die besonders engagierten, die aktiven Eltern, die aus dem extrem rechten Umfeld kommen, sagt die Kita-Frau. Die auch nicht gleich von der Holocaust-Lüge schwadronieren oder gegen Ausländer hetzen, sondern erst Vertrauen aufbauen zum Kita-Personal, zu den anderen Eltern.
“Je netter die sind, desto anschlussfähiger und damit gefährlicher sind sie”, sagt die Kita-Verantwortliche.
Sie ist eine politische Frau, eine Kämpferin, sie will sich nicht abfinden mit der Mischung aus Gleichgültigkeit, Angst, Resignation und Blindheit, die sie bei vielen Eltern und auch eigenen Mitarbeitern feststellt. Immerhin hat sie jetzt in ihren Kitas die geheime Elternbeiratswahl abschaffen lassen, und ihre Mitarbeiterinnen bekommen Schulungen in Demokratie und Pluralismus. Wie viel das bringt? Sie zuckt mit den Achseln.
Die Erziehungsideale der Neuen Rechten sind häufig eins zu eins übernommen aus der Zeit des Nationalsozialismus: Die Jungen haben stark zu sein, zäh und ausdauernd, die
Mädchen sollen lernen, Heim und Hof zu hüten. Germanische Monatsnamen werden ihnen in Sommerlagern der HDJ oder anderer Organisationen beigebracht, es gibt Fotos von organisiertem, paramilitärischem Drill für Kindergartenkinder.
Physische und psychische Gewalt seien an der Tagesordnung, erzählt eine, die in solchen Lagern dabei war. Ihnen werde bedingungsloser Gehorsam gegenüber den Führern in ihrer eigenen Parallelwelt eingetrichtert und andererseits subtile Auflehnung gegen die Institutionen der “Normalgesellschaft”.
Entsteht damit eine neue Generation von Rechtsextremen? Eine Generation, für die Ausländerhass und Fanatismus normal ist?
Rebellion gegen braune Eltern?
Nicht zwangsläufig, sagt Michaela Köttig, die als Professorin der Fachhochschule Frankfurt unter anderem zu rechtsextremen Frauen forscht. So wie das Hören rechtsextremer Bands oder das Tragen rechtsextrem kodierter Kleidung auch aus einer Protesthaltung gegen die Eltern entstehen kann, so wie die Generation der 68er gegen ihre von Pflicht und Gehorsam geprägten Eltern rebellierte, so sei auch eine Rebellion gegen braune Eltern durchaus denkbar.
Eine, die selbst unter einem extrem rechten Vater aufgewachsen, zu Ferienlagern der HDJ verdonnert worden und dann aus dem Milieu ausgestiegen ist, erzählt: “Es ist möglich, sich ab einem gewissen Alter von der Szene zu distanzieren und sich einer anderen Weltanschauung zu öffnen. Allerdings gelingt das nur, wenn man es schafft, sich dem Einfluss der eigenen Eltern zu entziehen.”
Als sich die junge Frau
der Aussteigerberatung Exit zugewandt hatte, war da plötzlich niemand mehr. Die Freizeit, die Schule, die Freunde, ihr ganzes Leben war vorher tiefbraun gewesen. Wer sich aus der Erziehung der neuen Neonazis lösen will, der muss nicht weniger als ein neues Leben anfangen. Was man mit ihr und anderen gemacht hat, sagt sie, war eindeutig Kindeswohlgefährdung.
Wie Neonazis ihre Gegner bedrohen
Schweineherzen im Briefkasten – Neonazis schüchtern ihre Gegner mal brachial, mal subtil ein. Dabei gehen sie präzise und professionell vor.
© Roland Geisheimer/attenzione
Ein Neonazi fotografiert Gegendemonstranten bei einem Neonazi-Aufmarsch im westfälischen Soest im Feburar 2011.
Wenn Johannes Hartl morgens auf dem Weg zur Schule ist, trifft er sie fast jedes Mal. Neulich fuhren sie im Auto fast eine Minute im Schritttempo neben ihm her und beobachteten ihn. “Die machen nichts. Die wollen einfach nur, dass ich sie sehe”, sagt Hartl.
“Die”, das sind Neonazis aus dem Ort, die dem Schüler das Leben schwer machen wollen. Sie wissen genau, dass die Polizei gegen diese subtile Art der Bedrohung kaum etwas unternehmen kann.
Es ist nichts Neues, dass Neonazis gezielt Angst verbreiten. “Anti-Antifa”-Arbeit nennt die Szene das. Journalisten, Politiker und alternative Jugendliche: Wer sich öffentlich gegen die Neonazis stellt, soll eingeschüchtert werden. Doch während die Rechtsextremen früher verhältnismäßig wahllos vorgingen – sie sammelten öffentlich zugängliche Informationen und Adressen für schwarze Listen – investieren sie inzwischen viel Mühe und Augenmaß, um Neonazigegner möglichst zielgenau auszuspähen.
Hartl hat den Zorn der örtlichen Szene auf sich gezogen, weil er genau das machte, was Politiker stets von den Bürgern einfordern: Wachsam bleiben gegenüber rechtsextremen Umtriebe. Angefangen hat alles im Frühling vergangenen Jahres. Da marschierten die Rechtsextremisten durch Hartls Heimatort Schwandorf in Bayern. Der damals 16-Jährige beteiligte sich an der Gegendemonstration, doch das reichte ihm nicht. “Ich wollte mich damit inhaltlich stärker auseinandersetzen”, sagt er.
Internet als Einschüchterungsplattform
Im Internet stieß er schnell auf Naziwebseiten der Region. Hartl startete das Blog
Schwandorf gegen Neonazis und begann regelmäßig über rechtsextreme Veranstaltungen zu berichten. Die Lokalzeitung druckte Artikel von ihm ab und auch ZEIT ONLINE veröffentlichte im
Störungsmelder seine Texte. Die
SPD zeichnete ihn für seine Arbeit
mit dem Hans-Weber-Preis aus.
Bald begannen die Rechtsextremisten, ihn bei Aufmärschen gezielt zu fotografieren und direkt anzusprechen. Kurze Zeit später fand er sein Foto auf der Homepage der örtlichen Kameradschaft. Aber die Drohungen liefen ins Leere. Das Schwandorfer Wochenblatt, das lokale Bündnis gegen Rechtsextremismus und auch ZEIT ONLINE stellten sich öffentlich hinter Hartl. “Diese Unterstützung war für mich ganz wichtig”, sagt er. Ein bisschen Sorge hätten seine Eltern schon, aber der Stolz überwiege.
Dabei ist das, was Hartl erlebt hat, noch vergleichsweise harmlos. Ein befreundeter Fotojournalist verkaufte vor ein paar Monaten exklusive Bilder von Nazi-Funktionären an einen Fernsehsender. Kurz darauf verübten Unbekannte einen Brandanschlag auf sein Auto.
Eine wichtige Plattform für rechtextreme Einschüchterung ist das Internet. Die Zahl der professionell gemachten “Anti-Antifa”-Webseiten, die für die Justiz meist unerreichbar im Ausland gehostet werden, steigt stetig. Die Szene veröffentlicht Fotos, Adressen und private Daten der Betroffenen. Vieles stammt aus sozialen Netzwerken. Ob Schule, Arbeitsstelle, Lebenslauf oder Vereinsmitgliedschaften – alles was im Netz zu finden ist, wird von den Neonazis gesammelt. Die von den Rechtsterroristen der Zwickauer Zelle erstellte Liste, mit 10.000 aus Telefonbüchern abgeschriebenen Adressen, wirkt dagegen geradezu dilettantisch.
Besonders eifrig sind die sogenannten Autonomen Nationalisten (AN) – junge und gewaltbereite Neonazis, die äußerlich eher an Mitglieder der linken schwarzen Blocks erinnern. In Dortmund etwa brachte es eine rechtsextreme Aktivistin zur Telefonistin bei einem Mobilfunkanbieter. Aus den Kundendaten besorgte sie den Rechtsextremen die Privatadressen von alternativen Jugendlichen. Bei manchen von ihnen wurden bald darauf Scheiben eingeworfen. Andere wurden auf dem Schulweg zusammengeschlagen.
In Berlin nahm ein führendes Mitglied der verbotenen Kameradschaft Tor einen Job bei einem privaten Briefzustelldienst an. Postsendungen an vermeintliche Linke nahm sie mit nach Hause und wertete die erbeuteten Informationen aus. Ein anderes Tor-Mitglied nutzte seine Anstellung bei einem Finanzamt, um insgesamt 184 Adressen von politischen Gegnern und einem Polizisten vom Staatsschutz aus der Datenbank zu ziehen. Über rechtsextreme Anwälte besorgen sich die Neonazis zudem immer häufiger Privatadressen von Zeugen und Opfern aus Prozessakten. Wer vor Gericht gegen Neonazi-Schläger aussagt, dem kann es passieren, mit Mord bedroht zu werden.
Ein blutiges Schweineherz
Auch Linke sammeln Daten über Nazis und stellen sie ins Netz. Doch die Dimension der Bedrohung geht bei den Nazis viel weiter. Während es den Linken vorrangig um die Demaskierung und öffentliche Bloßstellung von Rechtsextremen geht, veröffentlichen die Nazis Steckbriefe. Sie listen potenziell zu bedrohende Opfer auf.
Bianca Klose ist Leiterin der
Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin. Sie beobachtet die Einschüchterungsstrategie der Neonazis schon länger. “Mit relativ wenig Aufwand” gelinge es ihnen, spektakulär in Erscheinung zu treten: durch Aktionismus, einen konfrontativ geführten Kampf um die Straße und direkte Angriffe auf Wohnhäuser und Einrichtungen. Diese zielgerichtete Gewalt stelle für Engagierte eine neue, unmittelbare Bedrohung dar. Klose weiß, wovon sie spricht. Fotos von ihr, garniert mit Gewaltaufrufen, kursieren im Netz.
Auch in Aachen haben die Neonazis auf offene Einschüchterung umgeschaltet. Am ersten Weihnachtsfeiertag 2011 erhielt ein junger Mann eine besonders unappetitliche Drohung. Wochen zuvor hatte er an einer Demonstration gegen einen Naziaufmarsch teilgenommen. Die Rechtsextremisten identifizierten ihn auf Fotos und fanden seine Privatadresse heraus. Nun fand er ein blutiges Schweineherz in seinem Briefkasten. Daneben ein Zettel mit der zynischen Botschaft: “Ein Herz für Antifas. Frohe Weihnachten, deine Kameradschaft Aachener Land.”
Eine Drohung, die man in Aachen durchaus ernst nehmen muss. Im Mai 2010 hatten zwei Mitglieder der Kameradschaft Aachener Land (KAL) versucht, selbstgebaute und mit Glasscherben umwickelte Sprengsätze zu einem Naziaufmarsch nach Berlin zu bringen. Fünf Monate später war ein früheres KAL-Mitglied an dem Mord des
19-jährigen Irakers Kamal Kilade in Leipzig beteiligt.
ch in Berlin hätte es durch die “Anti-Antifa”-Arbeit der militanten Szene beinahe Tote gegeben. Am 26. Juni 2011 verübten Neonazis in einer Nacht gleich
fünf Brandanschläge auf linke Hausprojekte und ein Jugendzentrum des sozialistischen Jugendverbandes Falken. Nur durch Zufall wurden die Feuer rechtzeitig entdeckt. Alle betroffenen Projekte wurden zuvor auf der Internetseite des “Nationalen Widerstands Berlin” mit Foto und Adresse als “gute Anschlagsziele” genannt. Seitdem wurden viele weitere der genannten Häuser beschmiert, Scheiben wurden zerstört.
Die Spur zur NPD
Ihre virtuelle Feindesliste betreiben die führenden Köpfe der Berliner Szene mit viel Aufwand. Regelmäßig veröffentlichen sie Steckbriefe von missliebigen Personen. Auch Bundestagsabgeordnete wie Wolfgang Thierse (SPD) oder Wolfgang Wieland (Grüne) sind unter den rund 200 Namen zu finden. Ein “Strick um den Hals oder [eine] Kugel in den Bauch”. So wird allen gedroht, die sich den Rechtsextremisten in den Weg stellen.
Der mutmaßliche Betreiber der Seite ist dem Staatsschutz wohl bekannt. Sebastian Schmidtke (27) gilt als Führungskader der Autonomen Nationalisten und ließ sich gerade erst zum neuen Chef der Berliner
NPD wählen. Sein Naziladen im Bezirk Schöneweide wurde vergangene Woche durchsucht, Computer und Speichermedien beschlagnahmt. Die Polizei ermittelt jetzt gegen ihn und zwei weitere Rechtsextremisten unter anderem wegen Volksverhetzung und Aufforderung zu Straftaten. Schmidtke nahm die Beschlagnahmung seiner Datenträger gelassen. “Keine Sorge”, versicherte er seiner Anhängerschaft auf Facebook, “alles Wichtige ist verschlüsselt”.
Quelle: www.zeit.de