Süddeutsche Zeitung: “Der Hort der Terroristen”
Von Andreas Zielcke
Jetzt, da die Mordserie der Neonazis alle Welt aufgeschreckt hat, ist das Verbot der NPD wieder auf dem Tisch. Aber auch die Einwände sind sofort zur Stelle: Das im Untergrund operierende Terrortrio habe die Morde verübt, nicht die Partei. Vor allem lenke das Verbot ab von dem politischen Kampf gegen die sich wie ein giftiges Wurzelwerk ausbreitenden Neonazi-Strukturen. Im Übrigen komme man um das Problem der V-Leute, das sich 2003 als Verfahrenshindernis erwiesen hat, auch jetzt nicht herum.
So gewichtig die Einwände sind, so zwingend ist dennoch der Schluss, das Verbotsverfahren von neuem in Gang zu setzen. Die NPD löst die rechtsextremistische Gefahr nicht aus, sie ist ihrerseits Symptom dieses bedrohlichen Gefahrenpotentials. Aber sie ist es, die dem militanten Untergrund einen privilegierten organisatorischen Schutzraum und Fundus zur Verfügung stellt. Sie sichert ihm parlamentarische Deckung und indirekte politische Mitsprache. Kein anderer Terrorismus, sei er linksradikaler oder islamistischer Natur, kann hier auf eine solche offizielle Quelle politischer Schubkraft zurückgreifen. Um ein unter Nazis beliebtes Bild gegen sie selbst zu wenden: Der rechte Terrorismus ist ein Dolch im parlamentarischen Gewand.
Das Verbot, als äußerste Ausnahme so heikel, wie es in einer Parteiendemokratie nur sein kann, muss sich nicht nur der strengen rechtlichen Bedingungen vergewissern, sondern auch der staatspolitischen Dimension des Rechtsextremismus. Es ist nun mal ein Radikalismus ganz eigener Art. Als Neonazis am 23. Januar 2010 das „Haus der Demokratie” im brandenburgischen Zossen niederbrannten, konnten sie – die mit Emblemen und Symbolen bekanntlich so aggressiv hantieren, als seien es sinnbildliche Waffen – kein bezeichnenderes Objekt ihrer Wut wählen. Das Gebäude war der Sitz einer Bürgerinitiative, die darin zum Zeitpunkt des Anschlags Exponate des jüdischen Lebens aus der Stadtgeschichte Zossens ausgestellt hatte.
Selbsternannte Staatsschützer
Menschenverachtend ist jeder Terrorismus, der es auf das Leben anderer absieht. Doch was den rechten Extremismus vom linken unterscheidet, ist in der Tat der Furor gegen das Haus der Demokratie. Dieser anti-demokratische Affekt gründet auf der Verachtung des Parlamentarismus (die allerdings auch vielen RAF-Mitgliedern zu eigen war), auch wenn neonazistische Parteien Wahlen und Volksvertretung taktisch respektieren, solange sie in der Opposition von ihnen profitieren. Vor allem aber zielt der Rechtsextremismus auf die weicheren Humanprinzipien der Demokratie ab, in erster Linie auf die religiösen, ethnischen und politischen Gleichheitsrechte.Und gegen diese so leicht verletzbaren Werte, die jegliche Freiheit erst begründen, führt er den Kampf nicht als kalte Machtpolitik, sondern erfüllt von Hass.
Noch gehört es zu den historischen Rätseln, warum völkische Bewegungen diesen maßlosen Hass gegen Andersartige und Andersdenkende generieren. Warum genügt es nicht, Gegner zu entmachten, statt sie wutentbrannt mit den Stiefeln in den Dreck zu treten? Das Völkische versteht sich, sobald es von der Leine gelassen ist, nicht nur als Feind des Demokratischen. Es wird, wenn es hart auf hart kommt, zu dessen rasendem Todfeind. Seit der Wiedervereinigung haben, nach der Berechnung des Tagesspiegel, Rechtsextremisten in Deutschland mindestens 138 Menschen ermordet (die Bundesregierung spricht von 48 Opfern).
Die meisten von ihnen mussten sterben allein wegen ihrer Hautfarbe, Religion oder politischen Haltung. Bei der RAF galten die Anschläge Repräsentanten politischer oder ökonomischer Macht, bei den Neonazis sind es die Individuen selbst, denen das Lebensrecht abgesprochen wird. Hierin liegt wohl auch der Grund, warum die thüringischen Täter ihren Morden keine Bekennerschreiben oder Botschaften beigefügt haben – weniger wegen der selbstredenden Propaganda ihrer Taten als wegen des Selbstzwecks der Tötungen: ein Volksfeind weniger auf der Welt, ein Hassgefühl befriedigt.
Was aber die Rechtsextremisten und damit erst recht die NPD noch über diese Brutalität hinaus so nachhaltig gefährlich macht, ist ihre heroische Assoziation mit dem Staat. Schematisch gesprochen, sahen sich die RAF-Täter als Feinde des Kapitalismus und des ihm dienenden Staates. So wurden sie dann auch als „Staatsfeinde” wahrgenommen und verfolgt. Neonazis dagegen sehen sich wie ihre Vorgänger in den zwanziger Jahren als die wahren Hüter der Nation und ihres Staates. In ihren Augen sind Staat und Nation schwer bedroht und bedürfen der eigenmächtigen Hilfe.
Extremismus der Mitte
Der amerikanische Soziologe Sey-mour Martin Lipset hat Ende der fünfziger Jahre den Begriff „Extremismus der Mitte” aufgebracht, um damit dieses innere emotionale Mentalitätszentrum des Gesellschafts- und Staatslebens zu erfassen, das Nazis und Neonazis in radikale Bewegung zu bringen trachten. Wer -und sei es mit aller Gewalt – den Staat und die Nation verteidigen will, wer die traditionelle „Leitkultur” bewahren, wer der ethnischen Mehrheit Stolz verleihen, ihr Sicherheitsbedürfnis bedienen und ihre staatstragende Identität stärken will, der teilt doch, selbst wenn er in der Sicht der Mehrheit zu widerwärtigen Mitteln greift, ihre Nöte und kämpft für ihre Zusammengehörigkeit. Dass sich das Ganze bei den Rechtsextremen zu einem Heroismus pervertierter Staatsgewalt hochschaukelt, hält so manchen Bürger nicht davon ab, einen Rest von Langmut und Verständnis für diese fehlgeleitete, aber „gut gemeinte” Verteidigung des vermeintlich gefährdeten kollektiven Identitätskerns aufzubringen. Die durch die Orte stampfenden Rechten sind mitunter höchst gefährliche Staatsfreunde, aber eben doch Staatsfreunde.
Es darf einen daher nicht wundern, dass trotz aller öffentlicher Abscheu gerade in den staatlichen Sicherheitsapparaten immer wieder heimliche Nachsicht waltet mit diesen „verirrten”, selbst ernannten Staatsschützern. Umso wichtiger ist das Verbot der Partei, die dem rechtsradikalen Staatswahn parlamentarische Gestalt und Geltung verschafft und seinem demokratiefeindlichen Extremismus der Mitte einen konstitutionellen Schein der Legitimität verleiht. Umso wichtiger ist es aber auch, sich des Problems der V-Leute neu anzunehmen.
Nicht nur, dass der Sinn dieser Spitzel ohnehin zu bezweifeln ist, wenn sie selbst jahrelang agierenden Mördern wie den Thüringern nicht auf die Spur kommen. Vielmehr verkörpern die V-Leute auf geradezu gespenstisch-passende Weise diese stille Übereinkunft zwischen Staatsmacht und gewaltbereiter Eigenmacht, die den rechten Extremismus so gefährlich macht. Eine kumpanenhafte Selbstdefinition der „hoheitlichen Gewalt” bekommt hier ihren ganz fatalen Nebensinn. Es spricht daher alles dafür, zumindest den Spitzengremien der NPD die Spitzel zu entziehen – damit entfiele zugleich das Karlsruher Verfahrenshindernis – und das Verbotsverfahren energisch in Angriff zu nehmen.
SZ, 19. / 20. November 2011