Werner Robert Dalen – Das Schicksal eines Zossener Rechtsanwalts zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus

Werner Robert Dalen
Das Schicksal eines Zossener Rechtsanwalts zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus

Für die Recherche konnten wir auf Erkenntnisse zurückgreifen, die das Projekt “Spurensuche. Jüdisches Leben in Zossen 1925 – 1945″ erbracht hat. Das Projekt wurde 2006 unter der Trägerschaft des Jugendfreizeitklubs Leo e.V. und in Zusammenarbeit mit dem BAZ e. V. und der Gesamtschule „Geschwister Scholl“ Dabendorf abgeschlossen. Die seinerzeit entstandene Dauerausstellung über jüdisches Leben in Zossen ist mit dem Brand des Hauses der Demokratie im Januar 2010 zerstört worden. Werner Dalen wurde nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus der Mitte der bürgerlichen, christlich-konservativen Gesellschaftskreise in Zossen durch die „Rassegesetze“ schlagartig und willkürlich herausgerissen und umgebracht. Nun soll am letzten frei gewählten Wohnort von Werner Dalen ein Stolperstein verlegt werden. Ein entsprechender Antrag wurde jetzt an die Stadtverwaltung Zossen gestellt.
Werner Robert Dalen wurde am 10. Juni 1879 in Bromberg (Bydgoszcz/Polen) geboren. Seine Mutter war Gertrud Dalen, eine geb. Friedenthal. Der Vater, Robert Davidson (ab 30. 6. 1904 umbenannt in Dalen), war preußischer Oberpräsidialrat beim Oberpräsidium Magdeburg. Das Ehepaar hatte vier Söhne, die alle christlich getauft waren.
Werner Robert Dalen war der älteste der vier Söhne. Er wurde im März 1911 Assessor im Bezirk des Oberlandesgerichts Naumburg/Saale. Im November 1914 wurde er in Berlin Rechtsanwalt am Landgericht III mit Kanzleisitz in Charlottenburg. Er war zunächst nur knapp ein halbes Jahr als Anwalt tätig. Im März 1915 wurde die Zulassung gelöscht und Dalen war seitdem nicht mehr im Berliner Adressbuch aufgeführt.
Zwischen dem Zweiten Staatsexamen von Werner Dalen im Frühjahr 1911 und der Anwaltszulassung im Herbst 1914 liegt eine Lücke von dreieinhalb Jahren. Es kann lediglich gemutmaßt werden, welcher Beschäftigung er in dieser Zeit nachgegangen ist (z.B. Militärpflicht als Einjährig-Freiwilliger, Aushilfsarbeit bei einem Anwalt, Tätigkeit in einem Unternehmen, Auslandsaufenthalt etc.).
Im November 1917 wurde er Rechtsanwalt am Amtsgericht Ohlau, einer Kleinstadt in Niederschlesien. Diese Zulassung in Ohlau gab er im März 1922 auf und wurde stattdessen Anwalt am Amtsgericht Zossen. Der Umzug in die schlesische Provinz im Herbst 1917 könnte private Ursachen gehabt haben, oder auch der Versuch gewesen sein, mehr Aussicht auf Beschäftigung zu finden als im ohnehin überfüllten Berlin. In Berlin waren seit Kriegsbeginn 1914 die Geschäftszahlen von Anwälten und Gerichten deutlich gesunken und erst 1917 bzw. 1918 wieder im Ansteigen begriffen.
Gemäß einer Karteikarte, die im Brandenburgischen Landeshauptarchiv liegt, stammt die Zulassung als Rechtsanwalt und Notar beim Amtsgericht Zossen vom 11.03.1922 und beim Landgericht II vom 20.04.1928. Allerdings muss der Hinweis auf „Zulassung als Notar beim Amtsgericht Zossen“ kritisch hinterfragt werden. Eine Ernennung Dalens zum Notar in Zossen wird erst im Justiz-Ministerial-Blatt vom 11. März 1932 erwähnt. Im April 1928 wurde er, ebenso wie sein Zossener Kollege Rechtsanwalt und Notar Justizrat Dr. Erich Milchner, zusätzlich in Berlin am Landgericht II zugelassen. Um 1924 wird im Zossener Adressbuch der Wohnort Stubenrauchstraße 1 angegeben. Das Haus befand sich seinerzeit im Eigentum von August Horn, der hier Anfang des 20. Jahrhunderts eine Bäckerei betrieb und später einen Petroleumhandel aufmachte.

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Ausschnitt aus dem Adressbuch für die Stadt Zossen aus der Zeit um 1924
Im Amtsblatt der Regierung Potsdam aus dem Jahre 1928 wird Werner Robert Dalen als in der Stubenrauchstraße 107 wohnhaft erwähnt. Die damalige Stubenrauchstraße 107 ist die heutige Stubenrauchstraße Nr. 72. Hier befindet sich die Villa des ehemaligen Amtsgerichtsrates Dr. Max Foerste. Er erwarb die Villa um 1900. Dr. Foerste verstarb im Januar 1927 im Alter von 58 Jahren. Als Eigentümer des Grundstücks wird 1932 ein Eugen Roth geführt. Von 1935 bis 1952 befand sich in dieser Villa das Heimatmuseum des Teltow. Heute befindet sich in der Villa die Kindertagesstätte „Nesthäckchen“.
Die Erwähnung im Amtsblatt der Regierung Potsdam von 1928 resultiert daher, dass Werner Dalen 1928 bei den Wahlen zum Preußischen Landtag für die Volksrechtspartei (Reichspartei für Volksrecht und Aufwertung) kandidierte. Im Wahlkreis Potsdam II wurde er auf den Listenplatz 5 gesetzt. Die Partei erreichte im Wahlkreis allerdings nur wenige Stimmen. Die Volksrechtspartei war zwischen 1926 und 1933 eine Splitterpartei, die die Interessen der Inflationsgeschädigten vertrat.

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Das Amtsgericht neben dem Postamt auf dem Zossener Marktplatz um 1908.
Das neue Amtsgericht in der Gerichtsstraße wurde erst 1939 bezogen.

Dalen könnte der Assessorin Erna Proskauer (1903-2001) begegnet sein, die nach ihrer Ernennung Anfang 1931 hilfsweise mit Aufwertungssachen am Amtsgericht Zossen beschäftigt wurde. In Ihren Erinnerungen schrieb sie: „In Zossen gab es nur einen einzigen Notar. War er bereits in Anspruch genommen, mußte der Amtsrichter eintreten.“ Auf diesem erhöhten Bedarf für Beurkundungs-tätigkeit dürfte es beruht haben, dass Dalen im Februar 1932 außerdem Notar wurde.
Gemäß dem Adressbuch der Stadt Zossen von 1932 hat Dalen damals in der Stubenrauchstraße 4 gewohnt. Seine Kanzlei hatte er hingegen in der Berliner Straße 11. Die Bürozeiten waren demnach von 9-13 Uhr. Das Adressbuch der Stadt Zossen von 1932 wurde interessanterweise von M. Machledt in der Buchdruckerei Zossen gedruckt, die ebenfalls in der Stubenrauchstraße 4 ansässig war. Als Eigentümerin des Grundstücks wird im Adressbuch 1932 Karoline Machledt genannt.
Die Löschung der Anwaltszulassung, mit welcher der Verzicht auf das Notariat verbunden war, wurde am 26. Januar 1934 in deutsche Justiz, dem amtlichen Organ des Reichsministers der Justiz, mitgeteilt.
Werner Dalen war ein Christ jüdischer Herkunft. Sehr häufig wussten die Betroffenen in der beginnenden Nazi-Zeit gar nicht, dass sie im Sinne der Nationalsozialistischen Rassegesetze Nichtarier waren. Dalen dürfte hingegen gewusst haben, dass er jüdischer Herkunft war. Sein Vater hatte sich 1906 von Davidson in Dalen umbenennen lassen. Zu diesem Zeitpunkt war Werner Dalen 27 Jahre alt. Jude war, wer nicht als Kind getauft worden war, Halbjude der, bei dem zwei von vier Großeltern nicht als Kind getauft waren, Vierteljude der, bei dem eines der vier Großelternteile nicht als Kind getauft war. So bestimmte die zufällige Religionswahl im Dritten Reich über die Rassenzugehörigkeit.
Die Lücke im Lebenslauf von Werner Dalen von Frühjahr 1915 bis Herbst 1917 ist bislang unbelegt. Eine Teilnahme als Soldat am Ersten Weltkrieg kann nicht ausgeschlossen werden. Allerdings wäre ihm die Anwaltszulassung bzw. die des Notariats nicht aufgrund des Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 07. April 1933 entzogen worden. Demnach wurden nämlich Beamte und Rechtsanwälte nicht arischer Abstammung entlassen oder vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Es gab jedoch noch eine Ausnahmeregelung für „die im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft haben oder deren Vater oder Söhne im Weltkrieg gefallen sind“. Wenn Dalen Soldat im Ersten Weltkrieg gewesen wäre, hätte diese Ausnahmeregelung herangezogen werden können. Dann hätte Dalen u. U. bis zur Verabschiedung der Nürnberger Gesetze vom 16. September 1935 seinen Beruf als Rechtsanwalt bis spätestens 30. November 1938 weiter ausüben können.
Somit bleibt zunächst ungeklärt, aus welchen Gründen Ende 1933 die Löschung der Anwaltszulassung, mit welcher auch der Verzicht auf das Notariat verbunden war, erfolgte. Es ist davon auszugehen, dass diese Löschung nicht freiwillig erfolgte und mit der jüdischen Herkunft in Verbindung steht.
Mit Inkrafttreten der Justizreform am 1. Oktober 1879 hatten Anwälte in Preußen erstmals wieder die Befugnis, sich den Ort ihrer Niederlassung selbst auszuwählen. Diese Gelegenheit zur Veränderung ergriff beispielsweise Max Joel (1836-1896), der erst ein halbes Jahr Anwalt und Notar in Zossen war, um umgehend nach Berlin zu gehen. Es dauerte längere Zeit, bis an allen Amtsgerichten flächendeckend Rechtsanwälte eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ersucht hatten. Aus Honorar- und Prestigegründen bevorzugten die Rechtsanwälte die Zulassung an Land- oder Oberlandesgerichten. In Preußen gab es 1880 noch 1.068 und 1896 noch 845 Amtsgerichte, an denen kein Rechtsanwalt arbeitete. Langjährig tätig war in Zossen Max Steffeck, der als junger Assessor Ende 1883 Rechtsanwalt am Amtsgericht Zossen wurde und dem im Mai 1884 zugleich das Notaramt übertragen wurde.
Dr. Erich Milchner war der zweite Anwalt in Zossen, der sich in der Stadt dauerhaft niederließ. Er hatte seit Sommer 1899 durchgehend eine Zulassung. Nach dem Amtsverzicht von Max Steffeck war Dr. Milchner ab Ende 1906 auch Notar. Im Sommer 1918 erhielt er den Titel Justizrat. Andere Anwälte wechselten früher oder später von der Kleinstadt Zossen, wo sie zuerst als Berufsanfänger ihr Glück versucht hatten, in die Großstadt Berlin. Hierbei dürften vermutlich wirtschaftliche Gründe den Ausschlag gegeben haben.
Auch Max Steffeck ging nach fast 23 Jahren Rechtsanwaltstätigkeit in Zossen im September 1906 unter Aufgabe des Notariats nach Berlin. Er erhielt dort eine Zulassung als Rechtsanwalt am Landgericht III.
Ernst Büge war von September 1907 bis September 1908 Anwalt in Zossen und Ernst Oellrich war in Zossen von Oktober 1908 bis September 1912 anwaltlich tätig. Der Zossener Justizrat Dr. Erich Milchner war ebenfalls jüdischer Herkunft. Er hatte sein Büro im Jahre 1933 in der Bahnhofstraße 5. Nach dem Verlust des Notariates zum 15.November 1935 gemäß den gesetzlichen Regelungen war er noch bis zu seinem Tode Anfang 1937 als Anwalt in Zossen tätig.
Zu dieser Zeit war in Zossen ein neuer Rechtsanwalt und Notar tätig. Hans von Falkowski, leitete die örtliche NS-Rechtsbetreuungsstelle, ohne (jedenfalls bis 1936) Mitglied der NSDAP zu sein.
Dalen verließ Zossen im November 1939 um nach Berlin in die Alte Schönhauser 58 zu ziehen. Bei der Wohnung handelte es sich lediglich um ein Zimmer zum Wohnen und Schlafen zur Untermiete. Der Umzug nach Berlin erfolgte allem Anschein nach nicht freiwillig. Vielmehr dürfte ihn die wirtschaftliche Situation dazu veranlasst haben. Ob er zu diesem Zeitpunkt einer Arbeit nachgehen konnte, ist nicht bekannt. Über sein Konto konnte er zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr uneingeschränkt verfügen.
Per Verfügung des Geheimen Staatspolizeiamtes vom 3. Oktober 1941 wurde das gesamte Vermögen (ca. 20.000 RM) zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. Rechtsgrundlage war das Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens vom 14. Juli 1933. Zuvor, per Sicherungsanordnung vom Januar 1939 wurde eine vorläufige Sicherungsanordnung vom 30.12.1938 bestätigt. Begründet wurde die Sicherungsanordnung mit dem Verdacht auf Auswanderung.
Nach dem Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit und dem Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens (beide vom 14.7.1933) konnte das Verhalten von Juden aber auch anderer nicht regimekonformer Bürger als „staatsfeindlich“ definiert und ihr Vermögen mittels einer entsprechenden Verfügung „zugunsten des Deutschen Reiches“ eingezogen werden. Die Sicherungsanordnung (§ 37a des Devisengesetzes vom 1.12.1936) konnten Zollfahnder bei Verdacht einer geplanten Auswanderung erlassen. Die vorläufigen Anordnungen wurden von den Devisenstellen geprüft und anschließend bestätigt. Die Betroffenen konnten nun nicht mehr frei über ihr Vermögen verfügen. Ab 1939 wurden die Vermögen von Juden „automatisch gesichert“. Am 06. März 1939 stellte Dalen den Antrag, dass ihm 150 RM im Monat für den Lebensunterhalt von seinem „gesicherten“ Konto zur Verfügung gestellt werden.
Im Zuge der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26.4.1938 mussten Juden ihre Vermögenswerte offen legen. In einer 1941 abgegebenen Vermögenserklärung von Werner Robert Dalen, gibt er neben der Vermögenssituation als Beruf Arbeiter bei der Firma Daimon in Berlin Weddinger Sellerstraße 13 an. Die Fa. Daimon, Elektrotechnische Fabrik Schmidt & Co. GmbH stellte Batterien und Taschenlampen in Massenproduktion her. Dalen führt in seiner Vermögenserklärung neben anderen Guthaben und Wertpapieren auch Wertpapiere der Fa. IG Farben auf. Die IG Farben war der größte Einzel-Finanzier der NSDAP. Sie befürwortete ausdrücklich deren Kriegspläne. Ein Tochterunternehmen lieferte für den Massenmord u. a. an der jüdischen Bevölkerung das Giftgas Zyklon B.
Am 27./29. Oktober 1941 wurde Dalen von Berlin ins Ghetto Litzmannstadt (Lodz/Polen) deportiert Dort kam er am 22. Januar 1942 um. Wenige Tage später wurde sein Zimmer in Berlin begutachtet. Seine zurückgelassenen Sachen wurden aufgenommen und bewertet. Der Schätzwert des gesamten Inventars, u.a. zwei Paar Schuhe – „wertlos“, wurde mit 209 RM angegeben. Die Deutsche Bank meldete mit Schreiben vom 12. Mai 1942 an den Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg den Verfall des Vermögens von Werner Robert Dalen. Damit ging sein Vermögen an das Deutsche Reich über.
Dalens letzter frei gewählter Wohnort befand sich im Haus in der Stubenrauchstraße 4 in Zossen. Insofern sollte im Gehwegbereich vor dem Gebäude ein Stolperstein für Werner Robert Dalen verlegt werden. Ein entsprechender Antrag wurde jetzt an die Stadtverwaltung Zossen gestellt. Die Stadtverordnetenversammlung in Zossen hat bereits einen einstimmigen Beschluss zur Verlegung eines Stolpersteines für Werner Robert Dalen gefasst. Dieser Beschluss ging hinsichtlich des Verlegeortes allerdings noch von der Berliner Straße aus und müsste in Stubenrauchstraße 4 geändert werden.

Carsten & Hillu Preuß
Zossen, 29.06.2012